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veröffentlicht am 09.03.2014

Gemeinwohl anstelle von Gewinn und Kooperation statt Konkurrenz

Mit Christian Felber hatte der Arbeitskreis Ökumene der Hamelner Nordstadt und des Ökumenischen Zentrums Klein Berkel für den dritten Vortrag im Rahmen der Projektreihe 2014 „Das Richtige tun“ einen Referenten eingeladen, der sich mit seinen kritischen Büchern zur aktuellen Wirtschaftspolitik in Europa und als attac-Gründungsmitglied in Österreich einen Ruf als Verfechter einer neuen wirtschaftspolitischen Ordnung gemacht hat. Diesem Ruf wurde er bei seinem Vortrag am 26. Februar 2014 in der Evangelisch Freikirchlichen Gemeinde gerecht. Mit großem rhetorischen Geschick und Überzeugungskraft entwickelte er seine Ideen und warb für ein neues Wirtschaften, das statt des vorherrschenden Gewinnstrebens auf Gemeinwohl setze und an die Stelle des Konkurrenzgedankens die Kooperation.
 
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Alle Fotos: J. Jaeckel
Denn, so argumentierte Christian Felber: Umfragen zufolge seien rd. 80 bis 90 % der befragten Deutschen, Österreicher und Schweizer mit dem gegenwärtigen Wirtschaftssystem nicht zufrieden und wünschten sich eine humanere und sozialere Ökonomie, die weniger Ungleichheit produziert und ökologische Standards einhält. Dazu müsse solidarisches Verhalten an die Stelle reinen Wettbewerbs, genossenschaftliche Strukturen an die Stelle multinationaler Konzerne treten und die Wirt¬schaft demokratischer werden – und liberaler. Der gegenwärtige Kapitalismus mit seiner Chancen-Ungleichheit sei alles andere als liberal.

Die Wirtschaft als Teil menschlichen Lebens müsse verstanden werden als Systembestandteil der umfassenden Ökosphäre. Die Wirtschaftswissenschaft sei dagegen, ausgehend von der universalistischen Philosophie des 18. Jahrhunderts, zu einer Spezialdisziplin verkommen, die ihren Ursprung aus der Moralphilosophie aus den Augen verloren habe. Statt der Politik eine ethisch begründete Richtschnur an die Hand zu geben, habe sie Regeln aufgestellt, die zur Herrschaft der Wirtschaft über die Politik führten. Beispiele: Aufgrund der Bankenrettung ist für dringend notwendige Aufgaben kein Geld da; das Freihandelsabkommen  mit den USA wird weitere Zwänge bringen.
In vielen Verfassungen stehe implizit oder explizit, dass die Wirtschaft dem Gemeinwohl zu dienen habe, ein Begriff mit langer Tradition, geprägt von Thomas v. Aquin, der von dem „bonum commune“ sprach. Und schon Aristoteles habe als Zweck des Wirtschaftens das „gerechte Gute“ benannt. Außereuropäische Kulturen seien noch konsequenter, Bhutan (übrigens keine Demokratie) habe als Staatsziel die Forderung nach Glück seiner Bürger formuliert. Frage man Menschen heute bei uns nach Kriterien für ein gelingendes Zusammenleben, würden Begriffe wie Vertrauen, Ehrlichkeit, Wertschtzung, Kooperation, Teilen und Hilfe genannt, und Egoismus, Neid, Gier und Rücksichtslosigkeit als kontraproduktiv. Bei den aktuellen Mechanismen des Marktes sei es genau umgekehrt: Gewinnstreben, Konkurrenz bis zum Kannibalismus (feindliche Übernahme) dienten dem Wohl Einzelner; Gemeinwohlstreben und Kooperation würde dagegen dem Wohl Aller dienen. Felber geht mit dem Begründer der klassischen Nationalökonomie ins Gericht, Adam Smith, und dessen Annahme, dass es allen gut gehe, wenn jeder Einzelne nur seinem eigenen Interesse folge. Das habe sich als falsch erwiesen, weil Konkurrenz, die Felber als Kontrakurrenz bezeichnet, zum Gegeneinander, und nicht zum Miteinander führe und zwischenmenschliche Beziehungen scheitern lasse und den seelischen, sozialen und ökologischen Frieden gefährde.

Wie soll die Vision Wirklichkeit werden, Werte für das menschliche Zusammenleben an die Stelle menschlicher Schwächen zu setzen, die heutzutage zu wirtschaftlichem Erfolg führen sollen? Wirtschaftlicher Erfolg wird bisher auf der Makroebene der Volkswirtschaft durch das Bruttoinlandsprodukt (BIP) gemessen, auf der Mikroebene der einzelnen Unternehmen durch den Finanzgewinn. Beide Messgrößen seien monetäre Indikatoren, in Geld gemessen, die nur einen Tauschwert ausdrücken könnten, nicht aber den Nutzwert. Man messe damit also die Mittel, nicht das eigentliche Ziel des Wirtschaftens, ob z.B. der Ressourcenverbrauch wächst oder schrumpft, die Verteilung gerecht ist, das Vertrauen und die Zufriedenheit wachse. Andere Parameter müssten entwickelt werden, das Gemeinwohlprodukt. Beispiel Bhutan: Hier würden in mehrjährigen Abständen 6000 Haushalte mit 103 Fragen über ihre persönliche Situation und deren Bewertung befragt. Daraus wird das „Bruttosozialglück“ errechnet. Bei uns könnten, beginnend auf Gemeindeebene, derartige Parameter (es können deutlich weniger sein als in Bhutan) abgefragt werden. Das BIP wird übrigens von Volkswirten eher in Frage gestellt als von Betriebswirten.

Als Beispiel für die Messung des Gemeinwohls auf Mikroebene der einzelnen Unternehmen stellte Christian Felber eine Gemeinwohl-Matrix vor (s. S. 42/43 in seinem Buch „Gemeinwohl-Ökonomie“, 2012). Fünf Werte ergeben in Kombination mit fünf Berührungsgruppen (stakeholder) positive bzw. negative Kriterien, aus denen sich, mit Faktoren gewichtet, eine Gemeinwohlbilanz errechnen lässt. Auf einer Punkteskala könne man Klassen unterschiedlicher Gemeinwohl-Wertigkeiten bilden, die man mit Hilfe einer Farbkennzeichnung auch auf den Produkten der Unternehmen als Produktinformationen sichtbar machen könne („Gemeinwohl-Ampel“). Das würde zu einer effektiven Markttransparenz führen, die bei unterschiedlichen Preisen gleichartiger Produkte auch ethisch motivierte Kaufentscheidungen ermöglichen würde. Und: Je mehr Gemeinwohl-Punkte ein Unternehmen erziele, desto mehr rechtliche Vorteile solle es erhalten. Diese Leistungsanreize könnten auch z.B. im Hinblick auf internationalen Handel durch andere Steuerungsmechanismen ergänzt werden, wie unterschiedliche Mehrwertsteuersätze und Zolltarife sowie direkte oder indirekte öffentliche Förderung, z.B. durch unterschiedliche Berücksichtigung bei der Auftragsvergabe oder Forschungsförderung. Darüber hinaus seien auch unterschiedliche Zinssätze ins Spiel zu bringen; Felber ist Vorstandsmitglied  der Gemeinwohlbank, die günstige Bankkredite vergibt (siehe auch www.demba.at).

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Eine Finanzbilanz solle auch künftig von allen Unternehmen erstellt werden, die allerdings nicht mehr im Mittelpunkt stehe, da der Zweck des Unternehmens von der Gemeinwohlbilanz gemessen werde. Und so werde der Gewinn eines Unternehmens in der Gemeinwohlökonomie deshalb auch Mittel zum Zweck. Unternehmensgewinne könnten nützlich  oder auch schädlich sein, so müsse man z.B. die Ansammlung von Gewinnen nur der Gewinnvermehrung wegen vermieden werden. Gewinne sollten vornehmlich innerbetrieblich genutzt werden für Investitionen, Kreditrückzahlungen, Rücklagen, Ausschüttungen an Mitarbeiter und zinsfreie Darlehen, und nicht außerbetrieblich für Finanzinvestitionen, feindliche Übernahmen, eine Ausschüttung an Betriebsfremde und Parteispenden. Die Freiheit des Eigentums sei zu begrenzen, z.B. über eine Erbschaftssteuer, wie auch Konzentrationsprozesse, die heute zu großer Machtkonzentration führten und die Einflussnahme Einzelner im politischen oder gesellschaftlichen Umfeld möglich mache. Der Kauf von Fußballclubs oder Fernsehsender in der italienischen Presselandschaft seien das Ende des Sports bzw. der freiheitlichen Demokratie. Die Summe aller Maßnahmen in der Gemeinwohl-Ökonomie führe so zu einem Ende des Wachstumszwangs in der Wirtschaft, Unternehmen könnten sich damit darauf konzentrieren, ihre optimale Größe anzustreben, nicht die maximale.

Zur Frage der maximalen Höhe und Spreizung der Einkommen forderte Christian Felber die Zuhörer zu einem Spiel“ auf. Sie sollten ihre Abneigung (nicht Zustimmung) gegenüber Spitzeneinkommen angeben, wenn das maximale persönliche Einkommen auf das Zwei- bis Zwanzigfache des Mindestlohns (1200 € bei 33 Wochenstunden) begrenzt werden würde. Die geringste Abneigung wurde Faktor 5, die höchste Faktor 20 entgegengebracht, gefolgt von Faktor 2. In der Realität liegen nach Aussage des Referenten die entsprechenden Faktoren in Österreich bei 1000, in Deutschland bei 6000 und in den USA weit darüber. Solche Spitzengehälter dürfe man offensichtlich nicht mit Spitzenleistungen gleich setzen. Abschließend berichtete Felber über regionale Gruppen, in denen die Förderung des Gemeinwohl-Prinzips praktisch in die Tat umgesetzt wurde.

In der Diskussion wurde angemerkt, dass sich Konsumenten häufig nach dem Kaufpreis entscheiden und weniger nach ethischen Kriterien. Fragen nach der praktischen Umsetzung ethischer Prinzipien wurden gestellt angesichts der Realitäten menschlicher Eigenschaften. Felber deutet den Begriff „Bonität“ eines Unternehmens im wörtlichen Sinn als „Güte“. Menschen würden in der Tat einer (Selbst)Täuschung unterliegen, wenn sie ihr Glück anstatt in zwischenmenschlichen Beziehungen in Geld und Macht suchten. Einen entscheidenden Schwachpunkt sieht er in unserer repräsentativen Demokratie, die dem Bürger nicht mehr Entscheidungsmöglichkeiten bietet, als alle 4 Jahre zur Wahl zu gehen. Abgesehen vom Lobbyismus  beweist ihm der Einstieg in die Kernenergie und die aktuelle Diskussion über eine Freihandelszone mit den USA, dass die Politik gegen die Mehrheit der Bürger agiert. Der Ausgang der jüngsten Volksabstimmung in der Schweiz beruht seiner Ansicht nach in der falschen Fragestellung „ja/nein“. Bei einer früheren Volksabstimmung hätten sich die Schweizer vernünftigerweise für einen Ausbau der Bahn anstelle neuer Autobahnen entschieden. Demokratische Mitbestimmung muss mit Ideenwettbewerben beginnen und zunächst im kleinräumigen, kommunalen Maßstab, den die Bürger am ehesten überblicken können.

Links:
www.christian-felber.at
www.hannover.gwoe.net

Detlef Merkel

> Quelle
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