veröffentlicht am 08.09.2011
Noch heute sind Millionen Menschen verstrahlt
Nur bis zum Donnerstag ist im Hochzeitshaus die Wanderausstellung über die Katastrophe von Tschernobyl zu sehen. Eröffnet wurde sie am Samstag durch die Schirmherrin der Ausstellung, die SPD-Bundestagsabgeordnete Gabriele Lösekrug-Möller, Landrat Rüdiger Butte, Oberbürgermeisterin Susanne Lippmann, die Organisatorin der Veranstaltung, Olga Rensch, vom Dortmunder Internationalen Bildungs- und Begegnungswerk (IBB), Norbert Raabe als Vorsitzender der Hamelner Paritäten, die die Wanderausstellung in die Rattenfängerstadt geholt hatten, und dem Hamelner Arzt Dr. Hermann Niederhut, der gemeinsam mit Raabe und den Freunden von Brjansk viel medizinische Hilfe in die schwer betroffene Stadt gebracht hat.
25 Jahre nach dem schweren Atomunfall von Tschernobyl erinnert die Ausstellung eindrucksvoll an die Katastrophe vom 26. April 1986 und gewinnt aufgrund des Atomunfalles von Fukushima in Japan eine erschreckende Aktualität. Der strahlende Stoff Cäsium-137, der damals massenweise aus dem Reaktor geschleudert wurde, belastete innerhalb weniger Tage 7,5 Millionen Menschen, die meisten davon in Weißrussland, der Ukraine und Russland. Heute sind nach den in der Ausstellung neben eindrucksvollen Bildern gezeigten Daten und Fakten noch immer 5,6 Millionen Menschen durch das strahlende Material belastet. Und erschreckend sind auch andere Zahlen, die in der Ausstellung präsentiert werden: Wurden im Zweiten Weltkrieg von der deutschen Wehrmacht in Weißrussland allein 619 Dörfer vernichtet, fielen der Katastrophe von Tschernobyl 485 Dörfer zum Opfer, trotz der aufopferungsvollen Arbeit der mehr als sogenannten 850 000 Liquidatoren, die vier Jahre lang unter Einsatz ihrer Gesundheit und ihres Lebens versuchten, die schlimmsten Folgen des Atomunfalles zu beseitigen. Heute sind noch immer mehr als 1,5 Millionen Hektar für die landwirtschaftliche Produktion gesperrt.
Anna Jemeljantschik, 1967 in Minsk geboren, war eine dieser Liquidatorinnen, die sich am Mittwochabend um 19 Uhr im Hochzeitshaus gemeinsam mit dem in Brjansk arbeitenden Arzt Dr. Anatolij Proschin als Zeitzeugen den Fragen eines interessierten Publikums stellen wollen. Gast wird dabei auch Hiltrud Schwetje sein, die Ex-Frau von Altkanzler Gerhard Schröder, die sich seit vielen Jahren nach Kräften bemüht, das Los der Opfer und insbesondere das der Kinder in den von Tschernobyl verstrahlten Gebieten zu lindern.
Anna Jemeljantschik berichtete bereits während der Eröffnung der Ausstellung von ihrer Arbeit als Liquidatorin und der tickenden Zeitbombe, die sie mit ihrer eigenen Verstrahlung nach Hause brachte – ihre Kinder leiden noch heute unter den Folgen der Strahlenbelastung, die ihre Mutter nichts ahnend einschleppte. Viele dieser Männer und Frauen – auch das dokumentiert die Ausstellung – kämpfen noch heute um eine staatliche Anerkennung der gesundheitlichen Schäden, die sie damals erlitten. Weißrussland, die letzte Diktatur in Europa, hat ihnen alle Vergünstigungen gestrichen.
Vor allem aber setzt die erst im Januar erstellte und mittlerweile von rund 35 000 Menschen besuchte Ausstellung auch den „vergessenen Rettern Europas“ ein bemerkenswertes Denkmal. Hätten sie nicht durch ihren übermenschlichen Einsatz das Höllenfeuer in dem explodierten Reaktor innerhalb von zehn Tagen gelöscht, wäre wohl noch viel mehr radioaktiver Fallout auch über dem westlichen Teil unseres Kontinents herniedergegangen.
Die Ausstellung „25 Jahre nach Tschernobyl“ ist täglich bis Donnerstag zwischen 10 Uhr und 18 Uhr im Hochzeitshaus geöffnet. Die Träger der Ausstellung sind der Paritätische Hameln-Pyrmont, der Verein Freunde für Kinder in Brjansk, der BUND, Kreisgruppe Hameln-Pyrmont, und der Verein Spätaussiedler & Deutsche Rückwanderer.
Hameln, 6. September 2011 (Dewezet)
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