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veröffentlicht am 21.06.2014

Hamelner Kinder gefunden?

Hamlíkov grüßt Hameln!
 

Sie müssen einen tiefen Wald durchdringen, einen plätschernden Bach überqueren und dann noch einen steilen Hang hochsteigen. Nirgendwo ein Lebenszeichen, von einem Weg gar keine Spur. Doch sind Sie so zu Ihrem Zielort gekommen. Hier, weit in Mähren in der Tschechischen Republik, nordöstlich von der Stadt Brünn, kommen Sie mitten im Wald zu einer Wüstung namens Hamlíkov (was in der Übersetzung  Klein Hameln bedeutet). Dieses wüste Dorf gehört ganz sicher zu einem der merkwürdigsten Orte, an den vor 730 Jahren die Hämelschen Kinder durch einen Kolonisator hätten geführt worden sein können.

Natürlich hätten die Kinder nach Schlessien oder Siebenbürgen gegangen sein können, nur gibt es dort kein Klein Hameln, kein Hamlíkov. Wir könnten auch der uralten Sage treu bleiben: Da gingen die Kinder nämlich an einen ganz anderen geheimen märchenhaften Ort, und wo der ist, das wussten dann nur die Kinder und der Rattenfänger selbst. Aber bleiben wir auf der sachlichen Ebene und in Mähren. Auch so ist Hamlíkov merkwürdig genug, dass sich hier die Rattenfängersage fortsetzen könnte. Das in sich geschlossene, am Ende des 13. Jahrhunderts gegründete und schon im späten Mittelalter wieder verwüstete Dorf liegt einsam in den dünnbesiedelten Berggebieten der Drahaner Hochebene, wo seit Menschengedenken Wanderer an vielen Kreuzen und kleinen Kapellen vorbeiwandern. Doch warum stehen bis heute so viele heilige Bilder hier am Wegesrand? Früher hätte es hier laut den Sagen von seltsamen Räubern und verschiedenen übersinnlichen Wesen nur so wimmeln müssen. Und wer diese Gefahr heil überstanden hatte und weitergegangen war, kam schon nach zwölf Kilometern zu einem weiteren Hindernis, den tiefsten Klüften des Mährischen Karstes mit seinen geheimnisvollen Höhlen und Bachläufen (die größte Kluft Macocha – 'Stiefmutter' -  ist mehr als 138 Meter tief, 174 Meter lang und 76 Meter breit), wo der unterirdische Fluss Punkva in die traumhafte Unterwelt der Tropfsteinhöhlen einlädt. Man muss nicht einmal an Märchen glauben, um diese Kluft zumindest beachtenswert zu finden. Unwillkürlich werden Erinnerungen an die Hämelschen Kinder geweckt. Sie sind bekanntermaßen in einem Berg verschwunden... Könnte diese Schlucht wohl nicht ihr Ausgang gewesen sein? Das kann uns niemand mehr erzählen. Lassen wir den Märchen ihr Geheimnis und begeben uns in die normale Welt von Hamlíkov zurück.


Von diesem Klein Hameln wurden im 20. Jahrhundert durch den mährischen Archäologen Dr. Ervín Černý-Křetínský die Grundrisse von ungefähr zwanzig Häusern entdeckt, die an einer schmalen Straße entlang sorgfältig und mit guten architektonischen Kenntnissen gebaut worden sind. Wahrscheinlich war dieses Dorf zu klein, um alle 130 Kinder aufzunehmen. Aber es war nicht das einzige mittelalterliche Dorf in dieser Region, ein paar Kinder hätten sich auch in einem anderen Dorf niederlassen können. Die unter dem Olmützer Bischof Bruno von Schaumburg (gemeint ist der Adel, der oberhalb von Hessisch Oldendorf in der Burg Schaumburg seine Residenz hatte) organisierte Ostkolonisation war damals sehr weitläufig.

Dr. Černý-Křetínskýs archäologische Ausgrabungen fanden wissenschaftliche Beachtung. Die Öffentlichkeit nahm aber von diesem Fund in Hamlíkov kaum Notiz. Von dem Rattenfänger wurde in den alten Geschichten zwar seit jeher berichtet und die Sage lebte immer weiter, aber Hamlíkov, die Zuflucht der Hämelschen Kinder, wartete auf seine zukünftige Entdeckung. Ein umso größerer Dank gehört nun der Lehrerin Dáša Zouharová aus dem zwei Kilometer entfernten Dorf Podomí für ihre Hingabe bei der Popularisierung aller archäologischen Forschungen. Ihre Begeisterung und die wissenschaftliche Arbeit des Archäologen des Mährischen Landesmuseums Brünn, Herrn Dr. Ludvík Belcredi, trugen in den letzten Jahren dazu bei, dass das Interesse für die eigene Vergangenheit geweckt wurde. Jetzt kommt auch die Zeit von Hamlíkov, dem schlummernden Dornröschen aus Mähren.


Die Begeisterung ist ansteckend. Das Thema setzt sich im Kulturleben der Region mehr und mehr durch und Hamlíkov wird immer häufiger in Schulausstellungen, Exkursionen und Vorträgen erwähnt. Der Bürgerverein Barvínek in Podomí hat einige Publikationen herausgegeben und trug wesentlich zur Gründung eines kleinen Museums bei. Die Sage über den Rattenfänger lebt und wird in vielerlei Farben wiedergegeben.


Anlässlich des 730. Jahrestages des Kinderauszugs aus Hameln äußerte die Lehrerin Dáša Zouharová ihre Überzeugung: „Die jungen Leute aus Hameln kamen damals mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit nach Mähren in unser Dorf Hamlíkov. Und ihre Nachkommen leben vielleicht immer noch unter uns.“ Ihre Schüler, die im Gras kniend in ihre Blöcke malten, hoben bei diesen Worten plötzlich ihre Köpfe und blickten erstaunt vom Papier auf. Dann malten sie weiter an ihren Rattenfängerbildern.

„Am 19. Juni planen unsere Schüler, alle Teilnehmer einer regionalen Konferenz nach Hamlíkov einzuladen. Dann zum 730. Jahrestag des Auszuges der Hämelschen Kinder wird im Museum Podomí ein Vortrag über die Zusammenhänge zwischen Hameln und Hamlíkov gehalten,“ informierte die Lehrerin. „Und unsere weiteren Pläne? Das Thema Rattenfänger und die verlassenen Dörfer sind auch dank der Ausstellung im Mährischen Landesmuseum Brünn 2013 ans Licht der Öffentlichkeit gerückt. Wir werden uns anschließend um einen Dokumentarfilm bemühen, der das Geschehen um Hamlíkov herum zusammenfassen könnte, und wir würden uns auch über eine Zusammenarbeit mit einer Schule in Hameln sehr freuen.“
Zum Schluss winkte sie zusammen mit  den Kindern aus Podomí in Richtung Hameln: „ Wir wollen euch, alle Kinder aus Hameln, aus unserem kleinen Hamlíkov und Podomí recht herzlich grüßen und euch mitteilen: Am 26. Juni feiern wir aus der Ferne mit euch mit! Hamlíkov grüßt Hameln!“


(Quellen:
http://stredovek-dv.webnode.cz/krysar-z-hameln-a-hamlikov/
http://vyskovsky.denik.cz/serialy/drahanska-vrchovina-krajina-legend20091130.html
http://vyskovsky.denik.cz/serialy/kam-odvedl-krysar-deti-na-vyskovsko20100323.html
http://www.nasejmena.cz/nj/cetnost.php
http://www.kdejsme.cz/
http://www.barvinek.net/?strana=fotografie&soubor=1315247376&rok=2011&tuc=2011
http://www.ruprechtov.cz/cms/index.php?page=hamlikov

e -Mail von Frau Zouharová vom 6.5.2014
http://www.propast-macocha.cz/)

Bild: Bildkommentar: Der Rattenfänger gefolgt von Ratten, mitten im Wald von Hamlíkov, Mähren, Tschechische Republik (Bild aus einem Schulprojekt in Podomí) Foto: K. Böhmer

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