veröffentlicht am 05.02.2013 / geändert am 05.02.2013
Die Mutter des Hamelner Märchenspiels UPDATE
Vor 100 Jahren wurde Freya Markus alias "Tivi" geboren / Kartenverkauf noch vom Krankenbett aus
Es war einmal eine junge Frau, die 1945, kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, in Kirchohsen und anderen Dörfern von Straße zu Straße zog und Kinder „einsammelte“, um mit ihnen auf Wiesen oder in Scheunen kleine Märchenspiele aufzuführen. Die Kulissen, Requisiten und Kostüme -alles Marke Eigenbau transportierte sie in einem Handwagen. Ihr Wunsch, die Menschen nach den Schrecken des Krieges wieder zum Lachen zu bringen, ging schnell in Erfüllung. Jung und Alt strömte zusammen, um sich an der Laienspielschar zu erfreuen.
Dass sie mit ihren improvisierten Theaterstücken den Grundstein legte für das traditionelle Weihnachtsmärchen „Tivi`s Märchenspiel“ im Theater Hameln mit jährlich rund 7000 Zuschauern, ahnte die damals 32-Jährige sicherlich nicht. Im Dezember 1995 feierte Freya Markus mit ihrer großen Spielerschar das 50-jährige Bühnenjubiläum. Fünf Jahre später, am 31. Januar 2000, verstarb Märchenfee „Tivi“ im Alter von fast 87 Jahren. Am Freitag, 8. Februar 2013, jährt sich ihr 100. Geburtstag.
„Diesen Tag werden wir ihr widmen und uns gemeinsam an die schöne Zeit, die wir mit ihr hatten, erinnern“, sagt Thomas Feuersenger (47), Vorsitzender des Bühnenvereins. Als er Freya Markus kennenlernte, war er sieben Jahre alt. Wie alle anderen Kinder habe er zu Tivi, so lautete ihr Kosename, ganz schnell Vertrauen gefasst. Ihr liebevoller Umgang und das Verständnis für Freud und Leid der Mädchen und Jungen seien über das normale Maß einer Spielleitung hinausgegangen. Sie habe sich für jedes Kind sehr viel Zeit genommen und jedem Kind das Gefühl vermittelt, einzigartig zu sein.
Die Zeit und die Zuwendung, die sie den Kindern schenkte, bekam Tivi hun-dertfach zurück, denn auch ihre Schützlinge nahmen sich Zeit für sie. „Es gab keinen Heiligabend, an dem wir sie nicht besuchten“, erinnert sich Feuersänger. Bei einer Tasse Tee, dem Lieblingsgetränk der gebürtigen Friesin, wurde dann gemütlich über alle möglichen Dinge gesprochen.
Tivi, die als bescheiden und zurückhaltend beschrieben wird, hatte aber auch energische Seiten. „Wenn ihr etwas nicht gefiel bei den Theaterproben, war sie unerbittlich im Wiederholen derselben Szene oder desselben Satzes“, erinnert sich Désirée Lenz. Das weiß auch Eilert Lüpkes. Um alles, was Bühnenarbeit ausmacht, habe sie sich gekümmert. „Überall musste sie ihren Senf dazugeben. Das war aber immer zum Wohle der Kinder“, sagt der Kasssenwart des Bühnenvereins mit einem Schmunzeln.
Eigene Kinder hatte Freya Markus nicht. Sie war ledig und lebte allein in der Rattenfängerstadt. Die ersten Jahre nach dem Krieg wohnte sie in Kirchohsen. Kinder spielten auch in ihrem Berufsleben die Hauptrolle, war sie doch beim Landkreis Hameln-Pyrmont von 1946 bis 1978 tätig als Jugendpflegehelferin. „Ihr Lebenswerk aber war Tivi`s Märchenspiel“, sagt Eilert Lüpkes. Kinder, Märchen und das Theaterspielen waren ihr Lebensinhalt. Als im Dezember 1999 im Theater Hameln unter ihrer Regie die „Schneekönigin“ aufgeführt wurde, wusste niemand von der schweren Krankheit der Spielleiterin. „Ihre eigene Person hat Tivi immer in den Hintergrund gestellt“, weiß Angelika Danielsen. Den Kartenvorverkauf für ihr letztes Stück habe Freya Markus vom Krankenhaus durchgeführt. Während der Vorstellungen ließ sie sich mit einem Taxi ins Theater fahren, um wie in all ihren Bühnenjahren „ihren“ Kindern beizustehen, die Kleinen auf den Schoß zu nehmen und ihnen ein paar Streicheleinheiten gegen das Lampenfieber zu verabreichen.
Einen Monat später starb Tivi. Genau am Tag ihres Geburtstages, 8. Februar, wurde sie in ihrem Heimatort Varel bei Wilhelmshaven beigesetzt. Ihre „Märchenkinder“ in Hameln, denen sie das Tor zur Märchenwelt geöffnet hatte, gründeten nach ihrem Tod den Verein „Tivi´s Märchenspiel“, um die Arbeit im Sinn von Freya Markus fortführen zu können.
Vom Land Niedersachsen war Freya Markus 1986 mit der „Niedersächsischen Ehrenmedaille für vorbildliche Dienste um den Nächsten“ ausgezeichnet worden. Eine Ehrung durch die Stadt Hameln erlebte Freya Markus jedoch nicht. Erst nach ihrem Tod wurde nach ihr 2004 im Scharnhorstviertel eine Straße benannt.
Quelle: Christiane Stolte