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veröffentlicht am 25.04.2012 / geändert am 08.05.2012

Zum Tag der gewaltfreien Erziehung - 30. April UPDATE

Am 8. November 2000, trat mit § 1631 Abs. 2 BGB das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung in Kraft. Er lautet „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“ Doch was bedeutet dieser Absatz des Artikels im Bürgerlichen Gesetzbuch für den Alltag von Kindern und Jugendlichen sowie ihren Eltern?
 
Harmlose Gewalt?
Von den meisten Eltern und auch oft von der Umwelt wird Gewalt in der Erziehung gebilligt. Ein Klaps oder eine Ohrfeige werden in weiten Teilen der Bevölkerung quer durch alle Schichten als normale Erziehungsmaßnahmen betrachtet. Oft sind auch solche Äußerungen wie „das hat noch keinem Kind geschadet“ oder „bei mir war es genauso und aus mir ist ja auch etwas geworden“ zu hören. Dabei wird oft vergessen, dass auf eine Ohrfeige oder einen Klaps leicht zwei, drei, oder sogar viele werden und sehr schnell Schläge zum ganz selbstverständlichen Erziehungsmittel werden können. Doch das alles erfolge nur in der Absicht, Kinder »zur Vernunft zu bringen« oder von unerwünschten Handlungen, z. B. Gefahrensituationen, abzuhalten.
Vergessen wird dabei, wie sich die „Geschlagenen“ in diesen Situationen fühlen, wie demütigend diese Gewalterfahrung ist oder für heute Erwachsene damals war. Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, dass durch Gewalt z.B. das Risiko erhöht wird, dass Kinder/Jugendliche ängstlich und kontaktscheu werden, sich nichts mehr zutrauen und in der Schule versagen. Die gefühlsmäßige Entwicklung leidet, die Betroffenen werden oft aggressiv, greifen eher zu Alkohol und Drogen, und ihre Gewissensbildung verkümmert.
Kreislauf der Gewalt
Opfer elterlicher Gewalt wenden später vermehrt selbst Gewalt an. Das zeigen Umfragen und Untersuchungen sehr deutlich. Christian Pfeiffer (studierter Jurist, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts in Hannover) beantwortet dazu in einem Interview in „die Tageszeitung“ vom 08.07.2004 die Frage nach der Rolle der Eltern. „Unsere Forschung zur Biografie der Gewalt und die der Frankfurter Kollegen gibt eine klare Antwort: Junge Gewalttäter sind nahezu durchweg belastet durch schlimmste Kindheitserfahrungen, durch Lieblosigkeit der Eltern, durch Prügel und durch sehr inkonsistentes Elternverhalten. Sie lernen, Emotionen nicht zuzulassen. Diese Panzerung, dieses "Coolwerden" ist etwas, was in vielen Familien und erst recht später in der Jugendszene systematisch antrainiert wird.“
Präventionsmöglichkeiten sieht er darin, mehr Kraft darauf verwenden, künftigen Eltern zu erzählen, was über die Auswirkungen von falscher Erziehung bekannt ist. Seiner Meinung nach sollte die Zahl der Elternschulen in Deutschland erhöht werden. In Australien seien sie an jeden Kindergarten angedockt. Und Kinder brauchen die Möglichkeit, sich bei grober Vernachlässigung und Gewalt in der Familie Hilfe zu holen - und zwar anonym und angstfrei. Schweden praktiziert dies, Deutschland nur ansatzweise. So ist der Kinderschutzbund Hameln eine Anlaufstelle, ebenso wie das Jugendamt oder andere soziale und kirchliche Einrichtungen.
In der Stellungsnahme des Deutschen Kinderschutzbundes Bundesverbandes e.V. zum Schwerpunktthema Gewaltprävention vom 02.03.2010 heißt es:
„Wir im Deutschen Kinderschutzbund wissen, dass die allermeisten Eltern nicht aus Überzeugung schlagen und bestrafen. Oft führen Situationen der Überforderung und des Allein-gelassen-Seins bei manchen Eltern zu Gewalt, obwohl sie es eigentlich nicht wollen. Denn für über 90 % der Eltern ist eine gewaltfreie Erziehung das Ideal, aber nur ein Drittel der Eltern erzieht tatsächlich körperstrafenfrei. Etwa 60 % verwenden häufig leichte körperliche Strafen (Klaps auf den Po, leichte Ohrfeige). Und 13,8 % der Eltern in Deutschland erziehen leider noch immer gewaltbelastet (Tracht Prügel, Schlagen mit einem Gegenstand). Im Vorreiterland Schweden, das bereits 1979 als erstes Land ein Gewaltverbot in der Erziehung einführte, hat sich das Ideal einergewaltfreien Erziehung schon deutlich stärker durchgesetzt. 93 % der schwedischen Eltern sind gegen körperliche Bestrafung. 75,9 % der Eltern erziehen körperstrafenfrei, nur 3,4 % der Familien sind gewaltbelastet.
Erfreulicherweise ist in den letzten Jahren eine Einstellungsveränderung zu beobachten; über 85 % der Eltern sind der Ansicht, dass man mehr mit den Kindern reden sollte (Studie Prof. Bussmann aus dem Jahr 2005). 67 % der Jugendlichen berichten, dass die Reaktion der Eltern bei Regelverstößen „das Reden darüber“ ist. Eltern hingegen betonen, dass es ihnen wichtig ist, dass ihre Kinder Selbstbewusstsein erlangen, persönliche Fähigkeiten herausbilden, Gefühle zeigen, sich behaupten können und die Eltern-Kind-Beziehung von Zuwendung geprägt sein soll (Generationenbarometer 2009). Dies kann auch als eine Folge des Rechts auf eine gewaltfreie Erziehung angesehen werden.
Wir dürfen aber nicht vergessen: Gewalt hat viele Gesichter. Neben der physischen Gewalt, die mit Körperstrafen, wie mit einem Klaps auf die Finger oder auf den Hintern, beginnt, und sich über Schläge mit Gegenständen, Trachtprügeln oder Schütteln der Kleinkinder, fortsetzt, leiden Kinder unter vielfältiger Formen von Vernachlässigung und psychischer und somit alltäglichen Formen von Gewalt. Beschimpfungen, Ignorieren, ständiges Kleinmachen, Lächerlich machen oder Einschüchterung, aber auch Überbehütung, durch die dem Kind keine Freiräume zur Weiterentwicklung gegeben werden, machen Kinder nicht stark, sondern klein. Auch berichten Kinder häufig von drakonischen Strafen wie einer Woche Hausarrest.
Wir brauchen daher einen umfassenden Perspektivwechsel in der gesamten Gesellschaft um Kinder wirksam vor physischer und psychischer Gewalt zu schützen: Kinder müssen als Subjekte ernst genommen und mit Respekt behandelt werden.
Wege aus der Erziehungsfalle
Es besteht die „Gefahr“, das aus Kindern mit Erziehungsgewalterfahrungen Eltern werden, die sich genauso verhalten. Warum? Sie hatten bisher keine Chance, anderes Verhalten zu erlernen.
Das Bundesfamilienministerium wollte die Eltern nicht einfach mit der Gesetzesänderung allein lassen, sondern sie unterstützen, damit gewaltfreie Erziehung gelingt. Den Ansatz der Erziehung ohne Gewalt verfolgt der Kinderschutzbund mit seinen Elternkursen „Starke Eltern – Starke Kinder®“.
Auch in Hameln werden die Elternkurse angeboten. Sie richtet sich an alle Eltern, egal wie alt die Kinder sind. Im Austausch mit anderen Eltern in vertrauter Atmosphäre, bekommen die Eltern Informationen zum Thema Bedürfnisse von Kindern und Eltern, lernen Lösungswege zur verbesserten Kommunikation in der Familie kennen, um damit Konflikte nicht zu verhindern, sondern besser lösen zu können. Das Motto lautet hier: mehr Freude - weniger Stress mit Kindern! In den vergangenen 11 Jahren besuchten ca. 160.000 Eltern mit ca. 300.000 Kindern einen Elternkurs.
Astrid Lindgren erzählte vor 1978 in ihrer Dankesrede zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels folgende Geschichte: „Jenen aber, die jetzt so vernehmlich nach härterer Zucht und strafferen Zügeln rufen, möchte ich das erzählen, was mir einmal eine alte Dame berichtet hat. Sie war eine junge Mutter zu der Zeit, als man noch an diesen Bibelspruch glaubte, dieses "Wer die Rute schont, verdirbt den Knaben".
Im Grunde ihres Herzens glaubte sie wohl gar nicht daran, aber eines Tages hatte ihr kleiner Sohn etwas getan, wofür er ihrer Meinung nach eine Tracht Prügel verdient hatte, die erste in seinem Leben. Sie trug ihm auf, in den Garten zu gehen und selber nach einem Stock zu suchen, den er ihr dann bringen sollte. Der kleine Junge ging und blieb lange fort. Schließlich kam er weinend zurück und sagte: "Ich habe keinen Stock finden können, aber hier hast du einen Stein, den kannst du ja nach mir werfen."
Da aber fing auch die Mutter an zu weinen, denn plötzlich sah sie alles mit den Augen des Kindes. Das Kind musste gedacht haben, "Meine Mutter will mir wirklich weh tun, und das kann sie ja auch mit einem Stein."
Sie nahm ihren kleinen Sohn in die Arme, und beide weinten eine Weile gemeinsam. Dann legte sie den Stein auf ein Bord in der Küche, und dort blieb er liegen als ständige Mahnung an das Versprechen, das sie sich in dieser Stunde selber gegeben hatte: "NIEMALS GEWALT!" Quelle: http://efraimstochter.de/astridlindgren/friedenspreis_des_deutschen_buchhandels.shtml


Nicola Kraus, Vorstandsmitglied im Kinderschutzbund Ortsverband Hameln e. V.


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