Das hätte wohl kaum ein Aktiver der heimischen Tennisszene für möglich gehalten: Andre´ Torggler, der wohl beste Tennisspieler, den die heimische Sportszene bisher hervorgebracht hat, ist nach über 20jähriger Tennispause wieder aktiv. Inzwischen 43 Jahre alt, spielt der Ex-Profi, der Ende der achtziger Jahre in der Weltrangliste auf einem Platz um die 800 geführt wurde, in der Mannschaft der Herren 40 des DTH in der 1. Bezirksliga.
Als Kind und Jugendlicher gehörte Andre´ Torggler zur deutschen und sogar europäischen Elite des weißen Sports, legte dann aber völlig überraschend mit Anfang 20 den Tennisschläger zur Seite – wie es schien, für immer. Mit einem Mal steht er wieder auf dem Platz und hat gleich seine ersten Punktspiele für die Herren 40 des DTH gewonnen – mit den alten Schlägern und den alten Besaitungen, die 20 Jahre lang in der Ecke lagen und von einer dicken Staubschicht bedeckt waren. Zwar zwickten nach den ersten Partien der Schlagarm und das Knie, aber viele Schläge saßen bereits wieder – was bei manchen Zuschauern wie ein Deja Vu aus den achtziger Jahren wirkte.
Wie kommt es zu diesem völlig unerwarteten Comeback? „Ich habe am Haus unseres Vorsitzenden Roman von Alvensleben gearbeitet“, berichtet Torggler, der sein Geld als selbständiger Handwerker im Bereich Fassaden- und Innenausbau verdient. „Roman hat mich dann so lange bequatscht, bis ich zugestimmt habe, einmal mit ihm zu spielen. Bei dem einen Mal sollte es eigentlich auch bleiben, doch irgendwie habe ich dabei wieder Lust aufs Tennis bekommen.“ Wer unseren Vorsitzenden kennt, weiß, wie hartnäckig dieser in solchen Dingen sein kann... Roman meldete Andre´ daraufhin gleich für die Herren 40, wo der DTH-Boss selbst zum Schläger greift. „Dreimal habe ich noch mit Roman trainiert“, erzählt Andre´, „dann stand das erste Punktspiel in Bensdorf an“. Dort lief es im ersten Satz noch nicht so rund, dann aber spielte der Altmeister seine ganze Routine aus und gewann in drei Sätzen.
Inzwischen sind weitere Siege im Einzel und Doppel dazugekommen. „Die Schläge verlernt man nicht“, schmunzelt er, „wohl aber Koordination und Kondition.“ Vor allem letzteres verwundert nicht, wenn man bedenkt, dass Andre´ Torggler in den vergangenen zwanzig Jahren vieles gemacht hat – Sport gehörte aber nicht dazu: „Ich habe in den neuen Bundesländern eine Computerfirma gehabt – Netzwerklösungen für Handwerker und Autohäuser –, zehn Jahre lang eine Kneipe betrieben, war Koch, auf Montage, habe Personenschutz gemacht, mit meinem Bruder Konzertbühnen und Tontechnik aufgebaut und betrieben, einen Bratwurststand im Harz betrieben – und vieles mehr. Außerdem habe ich viel und gerne gefeiert, und als Besitzer eine Kneipe lebt man auch nicht gerade sehr gesund“, lacht er. „Sport habe ich gar nicht mehr getrieben, außer ein bisschen Boxen.“ Mit seiner Firma macht Andre´ heute „alles rund ums Haus“ und produziert zusammen mit Roman auch Betonplatten mit Fußball- und Firmenlogos. Aus einer früheren Beziehung entstammt eine heute 16jährige Tochter, die Andre´ allerdings nur sehr selten sieht. Sein großes Hobby ist das Motorradfahren, früher war er viel in der Bikerszene unterwegs. Die Tätowierungen an den Armen zeugen von einem bewegten Leben, das ihn weit herumkommen lassen hat – um nun wieder bei seiner „alten Liebe“, dem Tennissport, zu landen.
Denn jetzt hat es den Ex-Profi wieder gepackt: „Es macht Spaß, in der Herren 40 zu spielen. Selbst wenn ich wieder richtig trainieren und bei Turnieren antreten würde, möchte ich in keiner anderen Mannschaft spielen. Diese Truppe passt zu meinem Alter, außerdem möchte ich nicht mehr zu Punktspielen den halben Norden bereisen müssen. Wir sind alle auf einem ähnlichen Wellenlänge und harmonieren menschlich sehr gut.“ Dies kann ich absolut unterschreiben, denn schon lange war die Stimmung in unserer Mannschaft nicht mehr so gut. Andre´ ist Spaßmacher und Motivator zugleich. Er und ich kennen uns seit unserer Kindheit, was auch für unsere Mitstreiter Roman von Alvensleben und in gewisser Weise für Axel Rojczyk gilt. Nur Mannschaftsführer Oliver Scholze ist „neu“ in dieser Runde – und als ruhender Pol und glänzender Organisator eine ideale Ergänzung zu uns „Heißspornen“. Denn wer Andre´ von früher kennt, weiß, dass dieser mit einer unglaublichen Intensität auf dem Platz zu Werke geht – seinerzeit war er für seine Wutausbrüche auf dem Platz bekannt. Mitunter mussten in einem Match gleich mehrere Schläger mal „dran glauben“...
Nach dem gelungenen Comeback bei den Herren 40 denkt Andre´ Torggler über einen Start bei den DTH-Open 2012 nach – bei den Herren! Dort wäre er mit dann 44 Jahren der wohl mit Abstand älteste Teilnehmer. „Ich werde aber nur bei den DTH-Open antreten, wenn ich mindestens drei Monate vorher richtig trainieren kann und eine Chance sehe, dort mitzuhalten. Ich würde nicht antreten, um in der ersten Runde auszuscheiden.“ Bisher ist seine Bilanz makellos: Dreimal startete der Sohn eines Musikers (sein Vater war im Film „Drillinge an Bord“ mit Heinz Erhardt Teil der Begleitband des genialen Komikers!) bei den DTH-Open (1987, ´88 und ´89), dreimal gewann er. Die Zuschauer würde ein Start des „Hamelner Jungen“ sicherlich freuen, denn schließlich spielte der 43jährige in einer Zeit, als noch nicht der monotone Topspin-Stil die Tennisszene beherrschte. Torggler war und ist ein Allrounder, der jeden Schlag kann.
Er selbst blickt mit Wehmut an die „alten Zeiten“ zurück: „In den achtziger Jahren gab es wesentlich bessere Spieler. Damals musste man alles beherrschen, Grundlinienspiel, Serve and Volley, Spiel mit Unterschnitt und gerade Bälle. Heute wird fast nur noch von der Grundlinie mit Topspin gespielt. Zudem war die Leistungsdichte in Deutschland besser, denn die großen Namen Becker, Stich, Steeb usw. spielten ja alle in dieser Zeit.“ Andre´ kennt sie alle, hat in der Jugend u.a. gegen den späteren Wimbledonsieger Michael Stich sowie die Spitzenspieler Markus Zoecke und Ingo Kroll gewonnen. Gegen den späteren Weltranglisten-Ersten Petr Korda verlor er bei der einzigen Begegnung knapp in zwei Tie-Breaks. Andere große Namen kennt er aus der damaligen Jugendszene, auch wenn er gegen diese nie gespielt hat: „Boris Becker war als Jugendlicher außerhalb des Platzes schüchtern und auf dem Platz ein Schreihals, weinerlich und hoch emotional. Den haben wir kaum ernst genommen – bis er mit einem mal Wimbledon gewann“. An Thomas Muster hat er keine guten Erinnerungen – sein Landsmann (Andre ´ist eigentlich Österreicher) sei „menschlich ziemlich daneben“ gewesen, zumindest als jugendlicher Tennisprofi.
Andres Karriere bis zum Alter von 17 Jahren war beeindruckend: Mit neun Jahren hatte Torggler mit Tennis angefangen, nachdem er als Kind bereits Leistungsturner bei Helmut Heier und auf Wettkämpfen unterwegs war. Bereits ein Jahr später gewann er ein großes Bezirksranglisten-Turnier in Hannover, bei dem noch vier weitere Siege in unterschiedlichen Altersklassen folgten. Mit 16 Jahren war er Landesmeister, Zweiter bei den Norddeutschen Meisterschaften und 7. der deutschen Junioren-Rangliste. Bei einem internationalen Turnier in Österreich erreichte er den dritten Platz. Dann aber kam eine Verletzung, die ihn daran hinderte, bei den Deutschen Meisterschaften zu starten – den späteren Deutschen Meister hatte er zuvor bei den Norddeutschen Meisterschaften noch besiegt...
Danach war er zwei Jahre als Tennisprofi auf der europäischen Challenger-Turnierszene unterwegs, unter anderem in Österreich, Holland, Belgien, Bulgarien, Ungarn und Italien. Er spielte beim HTV Hildesheim in der Regionalliga, war Vierter der NTV-Rangliste und 84. der Deutschen Rangliste. Zum ganz großen Durchbruch kam es aber nicht – warum? „Es gab in meiner Generation einfach unglaublich viele talentierte Spieler, die noch besser waren als ich. Und um meinem Lebensunterhalt mit Tennis zu verdienen, hätte ich unter die ersten 100 der Weltrangliste kommen müssen. Das war jedoch unrealistisch“, resümiert Andre´ Torggler. Zwei Jahre spielte er noch – finanziell unterstützt durch den damaligen Förderkreis – für den DTH und arbeitete als Trainer in der Region und für die spätere Spitzenspielerin Marlene Weingärtner. 1991 war dann Schluss mit Tennis: „Ich mache alles entweder richtig oder gar nicht. Deswegen habe ich ganz aufgehört. Außerdem war ich dabei, mir eine Existenz in Ostdeutschland aufzubauen. Ich hatte keine Lust mehr, mich zu quälen und habe mich voll auf meine berufliche Zukunft konzentriert.“
Heute, mit 43 Jahren, sieht der Tennis-Crack alles entspannter. „Ich spiele, weil es mir wieder Spaß macht. Mal sehen, was ich noch im Tennis erreichen kann.“ Sorgen bereitet ihm die Entwicklung des Tennissports in Deutschland: „Die Vereine sind unheimlich geschrumpft, die Zahl der Aktiven geht enorm zurück. Außerdem ist der Konkurrenzkampf geringer als noch vor 20 Jahren“. Im Fernsehen sieht Andre´, dessen Idole Björn Borg und John McEnroe waren („das war schönes Tennis“) am liebsten Damentennis oder Spiele von Roger Federer: „Federer spielt mit Hirn und prügelt nicht auf den Ball ein wie so viele andere. Und Damentennis ist schöner, weil die Damen einfach schöner anzusehen sind als die Herren...“
Cord Wilhelm Kiel
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