veröffentlicht am 30.07.2013
Abi-Rede des Schulleiters 2013
"Laut dem alten Maya-Kalender sollte die Welt am 21. Dezember 2012 untergegangen sein. Sie ist es -zum Glück oder gottlob oder weil faktisch widerlegbar- nicht! Weltuntergangsszenarien, auch Apokalypsen genannt, haben Menschen zwischen Neugier und schaurigem Gruselgefühl seit Jahrtausenden beschäftigt..."
Vorbemerkung:
Eine Vorbemerkung für die Nicht-Eingeweihten unter den Gästen und Anwesenden: Alle Jahre wieder verabschieden sich die Abiturienten mit einem mehr oder weniger originellen, mehr oder weniger erst gemeinten bzw. ernst zu nehmenden Motto, das ihre Abi-Shirts verziert, ihre Aktionen begleitet und zuletzt in motivischer Aufnahme auch dem Jahrbuch verpflichtet ist. In einer längeren, zähen Themenfindung, hinter der sogar bedeutsame Klausurendurchgänge punktuell an Wertigkeit verloren, kristallisierte sich als Motto 2013 heraus:
ABIkalypse- Der Weltuntergang wäre einfacher gewesen!
Im wiederkehrenden Unterfangen, das Motto der Abiturienten aufzugreifen und ihm etwas abzugewinnen, entstanden die nachfolgenden Gedankengänge, nicht ganz ohne Augenzwinkern.
Vorbemerkung II: Eine Abi-Rede zum Thema Abi-kalyptik läuft tendenziell Gefahr, einen eher pessimistischen Tenor herauszustellen, was dem heutigen freudigen Anlass nicht vollends gerecht werden könnte. Dem ist keinesfalls so, denn zum Trost für uns alle kann ich drei zentrale Aspekte entgegenstellen: die religiös begründeten Apokalypsen liefern immer das Bild einer endgültig überragenden Hoffnung und Zuversicht, alle großen literarischen und vor allem cineastischen Werke lassen am Ende das Gute siegen und überleben und schließlich haben auch unsere diesjährigen Abi-kalyptiker eine klare Perspektive der Hoffnung auf der Schlussseite ihres Jahrbuches formuliert.
Das Ende ist der Anfang- Projektion des Bildes
Sehr geehrte Damen und Herren, verehrte Gäste, Liebe Abiturientinnen und Abiturienten des Jahrgangs 2013, oder soll ich besser sagen: liebe Abi-kalyptiker/innen“,
laut dem alten Maya-Kalender sollte die Welt am 21. Dezember 2012 untergegangen sein. Sie ist es -zum Glück oder gottlob oder weil faktisch widerlegbar- nicht! Weltuntergangsszenarien, auch Apokalypsen genannt, haben Menschen zwischen Neugier und schaurigem Gruselgefühl seit Jahrtausenden beschäftigt. In gesellschaftlichen Krisenzeiten - von denen die Menschheit ja leider allzu viele kennt- nehmen diese Vorstellungen immer wieder neuen Raum ein: in spannend komponierten Geschichten des Buchmarktes, in bedrohlich-beeindruckenden Bildern der Hollywood-Filme und nicht zuletzt in den Medien. Wochenlang haben die Macher der schreibenden Zunft die drohende Gefahr des Weltuntergangs kurz vor Weihnachten 2012 beschrieben, um danach zum Alltag auf unserem Planeten überzugehen. Die Szenarien vom Ende der Welt lähmen oder aktivieren Menschen, führen zu abstrusen Phantasien oder aber zur Einsicht, man könne und müsse die vermeintlich drohende Apokalypse in jedem Fall verhindern. Oder einfach den Alltag bestehen! (Hier ist die Analogie zu den Abi-Kalyptikern offenkundig!)
Ob religiös geprägt oder aus sozialen wie historischen Erfahrungskontexten stammend: Apokalypsen reagieren oft auf konkrete historische Ereignisse und beziehen sich darauf. Sie schildern radikale innerweltliche Veränderungen in Metaphern des Weltuntergangs oder deuten sie existentiell grundlegend, indem sie sich auf eine endzeitliche Wende beziehen. Dazu verwenden sie eine ungemein bildreiche Sprache, oft verbunden mit mythischen Figuren als Offenbarer der Zukunft oder Deuter der Zukunftsvisionen. Apokalypsen sind also besondere Geschichtsdeutungen, die die kommende Geschichte aus der vergangenen und die vergangene von der zukünftigen her zu interpretieren suchen und so ein umfassendes Bild vom Weltlauf entwerfen. Nicht selten, wie in der Neuzeit, nehmen sie furchterregende, bedrückende Erfahrungen der Menschheit zum Ausgangs- und Kontrastpunkt, Naturkatastrophen, Kriege, atomare Selbstvernichtungstendenzen, Hunger und Dürre, aber auch despotische Allmachtsphantasien im politischen Kontext werden zwischen Spiegelung von Wirklichkeit und überschlagender Bildhaftigkeit mit wiederkehrenden Motiven aufgenommen. In der theologischen wie künstlerischen Ausdrucksform sind es Vorzeichen, die auf Apokalypsen hinweisen. In der Symbolsprache werden die Bedrohungsszenarien wiederholt über die apokalyptischen Reiter, welche wir aus der Offenbarung des Johannes im letzten Buch der Bibel kennen, zum Ausdruck gebracht.
Im ausschnitthaften, zweifellos begrenzten Aufgreifen dieser Bilderwelten und Symbole lohnt ein kleiner Blick auf die abi-kalyptischen Erfahrungen von Abiturienten in drei Etappen, vor hundert Jahren, vor fünfzig Jahren und heute.
1913- die Abi-kalyptiker vor einhundert Jahren waren zum einen deutlich weniger als unsere heutigen Abiturienten und zum anderen unterlagen sie einem strengen königlichen Provinzial-Schul-Kollegium. Für nicht wenige waren Latein und Griechisch nicht nur Pflichtfach sondern auch apokalyptischer Prüfungsstress. Genügend war die häufigste Note, für die Primaner aber als Privilegierte des preußischen Obrigkeitsstaates völlig hinreichend für einen Karriereweg, den 50 Prozent des Jahrgangs in der Offizierslaufbahn verorteten. Sollten die Pennäler damals, was wir nicht beantworten können, das Abitur als abi-kalyptische Erfahrung gedeutet haben, wurden sie ein Jahr später einer furchtbaren Gewissheit wahr: die eigentliche Apokalypse des ersten Weltkriegs, der ihre Träume und Hoffnungen jäh zerstörte. Mehr als ein Drittel der Abiturienten des Jahrgangs 1913 erreichte nicht einmal das 21. Lebensjahr. Das letzte Jahr des Friedens vor der großen Katastrophe eines Weltkrieges mit wahrlich apokalyptischen Ausmaßen einer nie gekannten Form der Vernichtung von Menschenleben und mit den Ausprägungen und Folgerungen, die gerade Deutschland in den schrecklichsten Abschnitt unserer Geschichte hineinstürzen. Die apokalyptischen Reiter waren schon auf dem Weg, Vorboten von Zerstörungsgefahr und Vernichtung jugendlicher Träume einer friedlichen Welt und persönlicher Entfaltung. Nationalismus, Imperialismus, ein allzu lautes Säbelrasseln und eine unüberhörbare Kriegsbegeisterung, die vor allem die Jugend auf die Schlachtfelder und in den Tod statt eines Triumphs führte.
50 Jahre später- zu Ostern 1963 werden 85 Abi-kalyptiker feierlich aus der Schule entlassen. Dabei die heutigen Goldenen Abiturienten der ehemaligen Klasse 13 a. Sie haben apokalyptische Ahnungen und Bedrohungen schon hinter sich, als sie freudestrahlend das Zeugnis der Reife in ihren Händen halten. Zu eindeutig waren die apokalyptischen Reiter jener Zeit, als dass sie hätten durch die schulischen Beanspruchungen ausgeblendet werden können. Der kalte Krieg, das Wettrüsten zwischen Ost und West, die atomare Krise im Kuba- Konflikt und der potentielle Gefahrenherd durch die Berliner Mauer stehen einer uneingeschränkt hoffnungsvollen Perspektive der Reifeprüflinge entgegen. Und so ist der Aufruf des damaligen Direktors, Richard Schulz, an seine Abiturienten zeitbedingt zu verstehen: „Lernen Sie die Kunst der Künste, die Einfachheit!“ Die goldenen Abiturienten haben es scheinbar beherzigt, die Kunst des Lebens zu entwickeln und in einfacher wie bescheidener Weise dazu beizutragen, dass die apokalyptischen Reiter in ihrem Lebensweg zurückgedrängt werden konnte. Frieden, Wohlstand, das Ende des kalten Krieges und die deutsche Einheit sind die Reiter der Hoffnung geworden.
2013- wer sind die apokalyptischen Reiter, wer die Hoffnungsboten der aktuellen Abi-kalyptiker, die diesen Titel auch ihr Eigen nennen, ihn selbst stilisiert haben. Die apokalyptischen Symbole und Erfahrungshintergründe sind andere. Gottlob drohen, nach allem, was man einschätzen kann, nicht jene umspannenden apokalyptischen Szenarien der Jahrgänge 1913 und 1963. Zu optimistisch? Keinesfalls, wenn man an die prägenden Erfahrungen apokalyptischer Ereignisse wie Fukushima in Japan, den 11. September 2001 oder die Existenz vernichtenden Flutkatastrophe dieser Tage denkt. Die Reiter, die auf uns zukommen, tragen dennoch Farben, die in ihrer Bedrohung und Belastung von Frieden und Hoffnung äußerst ernst zu nehmen sein sollte. Umwelt- und Klimakatastrophe, Kampf um Ressourcen, Globalisierungsfalle und eine schleichende Entsolidarisierung der Gesellschaft mit einer zunehmenden Schere zwischen Systemgewinnern und –verlierern. Was Wunder, dass die kalendarischen Prophezeiungen wie etwa die des Maya-Kalenders einen geradezu hysterisch anmutenden Zulauf hatten und haben. Zu pessimistisch? Keinesfalls. Zu allen Zeiten sind die Abiturienten eines Jahrgangs konfrontiert mit den ermutigenden und belebenden Hoffnungsbildern wie auch die bedrückenden und beeinträchtigenden Apokalypsen ihrer Zeit. Im Übergang von dem einen in das andere, vom behüteten Schul- und Jugendzeitalter in das ganz andere Erfahrungs- und Bewährungsfeld der Welt von Ausbildung, Studium, Verantwortungsübernahme und Mitgestaltung der gesellschaftlichen Prozesse steckt jene Herausforderung, dem Apokalyptischen zu widerstehen, wo es das Leben und die Grundlagen desselben in Frage stellt, wo menschlich verursachte Katastrophen der Hoffnung und Erwartung auf ein wertvolles, gelingendes Leben in Frage stellen.
Die Abi-kalyptiker des Jahrgangs 2013 stilisieren ein solches Weltuntergangsszenario zu ihrem Motto und malen in schillernden Farben ein Bild vom Ende ihrer Schulzeit. Dem angestrebten „Abi“ ordnen sie mit Augenzwinkern apokalyptische Züge zu: das Ende von etwas, wogegen ein Weltuntergang (wie etwa im Maya-Kalender) gerade zu einfach gewesen wäre, und zugleich die Offenheit eines „Was kommt denn danach?“ Dem Anspruch, sich diesem „endzeitlichen Ereignis“ zu stellen, trotzen sie mit jugendlicher Lust auf den Widerspruch und das „Geht schon (irgendwie) weiter“ und wissen doch zugleich, dass sie sich dem Anspruch stellen und ihn -hoffentlich und gewünscht- auch bestehen können. Der im täglichen Miteinander erfahrbaren Grundeinstellung der Abi-kalyptiker folgend, können nämlich weder die zurückliegende Schulzeit noch die bevorstehende Prüfung einem Welteruntergangsszenario entsprechen. Lebenslustig und mit einem breit vorher getragenen Selbstverständnis werden sie sich gegen alle Untergangsstimmungen zur Wehr setzen und dazu beitragen, dass Krisenstimmungen nicht in apokalyptisches Denken münden, sondern Ansporn für Aufbruch und Veränderung sind. Die vielen Aktivitäten im Schulleben, das Engagement für Schulkultur und die Bereitschaft zur Mitverantwortung verweisen auf Tugenden und Fähigkeiten, dem Apokalyptischen zu widerstehen. Es sollte gelingen…
Und wenn die Hoffnung schwinden sollte, bedroht ist von Trübsinn und der unermüdlichen Sorge, sind es die Symbole der Hoffnung, die apokalytischen Reitern widerstehen können und werden, das Zutrauen in eigene Fähigkeiten und der Mut, das Leben mit anderen zu teilen. Das Prinzip Hoffnung ist eine Grundkategorie unseres Lebens und jenseits aller Knabenblütenträume und Utopien Antrieb zur Veränderung, wunderbar von Ernst Bloch im Vorwort zu seinem gleichnamigen Werk formuliert: Wer sind wir? Wo kommen wir her? Wohin gehen wir? Was erwarten wir? Was erwartet uns? Viele fühlen sich nur als verwirrt.. Dieser ihr Zustand ist Angst, wird er bestimmter, so ist er Furcht..
Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen. Seine Arbeit entsagt nicht, sie ist ins Gelingen verliebt statt ins Scheitern."
Weniger philosophisch, dafür leichter und als Wunsch für die Abi-kalpytiker eine kleine Geschichte zum Abschluss:
Die Glücksbohnen
Es war einmal ein Kaffeebauer, der steckte jeden Morgen eine Handvoll Bohnen in seine linke Hosentasche. Immer wenn er während des Tages etwas Schönes erlebt hat, wenn ihm etwas Freude bereitet oder wenn er einen Glücksmoment empfunden hatte, nahm er eine Bohne aus der linken Hosentasche und gab sie in die rechte.
Am Anfang kam das nicht so oft vor. Aber von Tag zu Tag wurden es mehr Bohnen, die von der linken in die rechte Hosentasche wanderten. Der Duft der frischen Morgenluft, der Gesang der Amsel auf dem Dachfirst, das Lachen seiner Kinder, das nette Gespräch mit seinem Nachbarn – immer wanderte eine Bohne von der linken in die rechte Tasche.
Bevor er am Abend zu Bett ging, zählte er die Bohnen in seiner rechten Hosentasche. Und bei jeder Bohne konnte er sich an das positive Erlebnis erinnern. Zufrieden und glücklich schlief er ein – auch wenn er nur eine Bohne in seiner rechten Hosentasche hatte.
War es mal schwer und fand sich abends nur eine Bohne in der rechten Tasche, so war ihm diese so wertvoll, dass er sie besonders schützte. Meist aber war die Tasche voll, so dass er sich vor Freude einige Bohnen nahm, sie zermahlte und sich einen köstlichen Kaffee kochte und sich des Lebens erfreute.
Probiert es aus – ihr werdet staunen, was an Bohnen so zusammenkommt. Alles Gute für euren Lebensweg! Von diesen Kaffeebohnen möchte euch nachher bei der Ausgabe der Zeugnisse eine Tüte mitgeben, auf dass eure Taschen stets reichlich gefüllt sind und der köstliche Kaffeegeruch eure Hoffnung stärkt, gegen alle Furcht und alle apoklyptischen Reiter.
Liebe Abi-kalyptiker des Abiturientenjahrgangs 2013,
ich gratuliere euch herzlich zum erfolgreichen Abschluss eurer Schulzeit und wünsche euch, dass ihr durch Zutrauen in eure Kräfte und Möglichkeiten dem apokalyptischen Szenarien, die euch hier oder dort begegnen mögen, stets neu wiederstehen könnt. Im Bewusstsein für die von Menschen verursachten apokalyptischen Züge auf unserer Welt, zu denen Krieg, Hunger und Umweltzerstörung leider in besonderer Weise zu zählen sind, seid ihr gefragt, eure Fähigkeiten einzubringen und jede Form von „Weltuntergang“ zu vermeiden.
Für das vielfältige Engagement in den zurückliegenden Jahren in Projekten, Programmen und Profilen danke ich euch- eure Spuren an eurem „Schiller“ sind beglückend für die Bleibenden und mutmachend für euren Weg.
Herzliche Grüße und beste Wünsche für euren kommenden Lebensweg
Andreas Jungnitz
Schulleiter
> Quelle