veröffentlicht am 16.01.2023 / geändert am 16.01.2023
Lektüre live auf der Bühne UPDATE
Zwei spannende Theaterbesuche mit der gymnasialen Oberstufe
Ideal ist, wenn der Stoff zum Zentralabitur nicht nur gelesen, sondern auch live auf der Bühne erlebt werden kann. Der 13. Jahrgang des Beruflichen Gymnasiums besuchte – nach einem gemeinsamen Essen – eine Bühnenadaption von Thomas Manns Novelle „Mario und der Zauberer“. Die zeitlos mahnende Parabel zeigt die Verführungskünste des Magiers und Hypnotiseurs Cipolla, der die Menschen in seinen Bann zieht und im Kleinen offenbart, was in Mussolinis faschistischem Italien bereits geschehen war und unter Hitler in Deutschland bevorstand. Und das gilt als Warnung vor den Rattenfängern unserer Gegenwart. Sebastian Kautz und Gero John haben ihr Figurentheater „Bühne Cipolla“ nach Manns Figur benannt. Am Donnerstagabend waren die beiden Künstler im Hamelner Theater zu Gast.
Das Publikum sitzt nicht im Zuschauerraum, sondern mit auf der Bühne, ganz nahe am Geschehen. Eine Gelegenheit, die Gäste mit in das Geschehen einzubinden und sie Teil der Suggestion des Zauberers werden zu lassen. Der überzeugende Kautz verschwindet beim Spiel hinter seinen famosen Puppen, tritt aber auch als Erzähler auf, während John die Szenen am Cello musikalisch untermalt. Im Anschluss stellt sich Kautz den Fragen der Zuschauer und führt noch einmal seine Puppen vor.
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Foto: Martin Jedicke
Der 12. Jahrgang hingegen begab sich am Samstag auf den Weg in das Schauspielhaus Hannover. Georg Büchners berühmtes Drama „Woyzeck“ stand auf dem Programm: die Geschichte um einen unterprivilegierten Mann, der als miserabel bezahlter Soldat mit allerlei Nebenjobs verzweifelt versucht, seine kleine Familie über Wasser zu halten. Der Doktor missbraucht ihn für einen medizinischen Versuch und Marie, die Mutter seines Kindes, betrügt ihn mit dem stattlichen Tambourmajor. Woyzeck endet schlussendlich im Wahn.
Gut, dass der Stoff ausführlich im Unterricht behandelt wurde, denn die Regisseurin Lilja Rupprecht hat Büchners Fragment auf den Kopf gestellt und neu zusammengesetzt. Ohne Textkenntnis ist schwer nachzuvollziehen, wenn zwei Charaktere in einer Figur verschmelzen. Ein allerdings kluger Schachzug, wünscht sich Woyzeck schließlich, genauso ein „Stier“ von Mann zu sein wie der Tambourmajor, der Liebhaber Maries. Und ist der Major in seiner Reduktion auf reine Körperlichkeit nicht auch ein Gescheiterter? Was ist der Mensch? Was ist Erziehung? Wo ist der freie Wille? Wo ist die Grenze zwischen dem Menschlichen und dem Tierischen? Auch hier zeitlose Fragen.
Spannend zu erleben ist der abstrakte Raum von Woyzecks Ich, der sich in einem konkreten Bühnenraum übertragen und in viele Teile zerlegt wird – Bruchstücke einer geschundenen Seele, die zu keinem Ganzen findet. Abgründiges Dunkel und glitzernde Versprechungen. Übergroß projizierte Gesichter. Käfigartige Räume, Spiegel, schmale Durchgänge und eine Drehbühne, gegen deren Rotation Woyzeck permanent anläuft. Wirkmächtig unterlegt durch technoide Soundscapes.
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Kerstin Schomburg, Programmheft des Schauspielhauses Hannover
Zwei sehr unterschiedliche Theaterabende und viel Gesprächsstoff für eine Nachbesprechung im Unterricht. > Quelle
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