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veröffentlicht am 12.06.2015

Fixierung – Nein Danke!

Hameln-Pyrmont auf den Spuren des "Werdenfelser Weges"
 
Bauchgurte. Bettgitter. Vorsatztische. Sedierende Medikamente. Fixierungen und freiheitsentziehende Maßnahmen, die Pflegebedürftige vor Verletzungen bewahren sollen, richten oft das Gegenteil an. Betroffene können sich wund liegen, verlieren Muskelmasse oder verletzen sich beim Versuch sich zu befreien. Auch die Psyche leidet enorm unter der Freiheitsentziehung.

Aus der Statistik des Bundesjustizamtes im Jahr 2010 geht hervor, dass über 98.000 Neuanträge für freiheitsentziehende Maßnahmen genehmigt worden sind. Es wird geschätzt, dass jeder vierte Bewohner schon einmal mit einer freiheitsentziehenden Maßnahme in Berührung gekommen ist. Eine Zahl, die aufhorchen lässt. Marius Marczik, Pflegedienstleiter in der Hamelner Pflegeeinrichtung Scharnhorst Residenz, ist sich sicher, dass es auch anders geht. Er hat den Anstoß gegeben, gemeinsam mit den Richtern des Amtsgerichts Hameln den "Fachzirkel Werdenfelser Weg" zu gründen. An diesem Zirkel nehmen alle Vertreter aus dem Landkreis Hameln-Pyrmont, die an den Entscheidungsprozessen beteiligt sind, wie Behörden, Heimleiter und Ärzte, teil.

Der "Werdenfelser Weg"  ist eine Initiative, die ihren Ursprung 2007 in Garmisch-Partenkirchen gefunden hat. Sie soll den Gedanken stärken Fixierungen und freiheitsentziehenden Maßnahmen von kranken und alten Menschen zu vermeiden, wo dies vertretbar ist. Im Werdenfelser Land hat sich die Zahl der Fixierungsanträge auf einen geringen Bruchteil reduziert.

Speziell ausgebildete Verfahrenspfleger sollen mit pflegefachlichem Wissen und juristischen Informationsstand Aufklärungsarbeit leisten und den Angehörigen und Pflegekräften im Entscheidungsprozess beratend zur Seite stehen. Viele glauben die Fixierung sei die einzige sichere Möglichkeit den Bewohner vor Stürzen und Verletzungen zu schützen. Dem ist jedoch nicht so. "Ich habe die Fortbildung zum Verfahrenspfleger absolviert und dadurch einen neuen Einblick in Bezug auf freiheitsentziehende Maßnahmen gewonnen", erklärt Marczik.

Marczik weiß, dass alle Möglichkeiten in Betracht gezogen werden müssen. Der Wille des Betroffenen steht im Vordergrund. Die Obhutspflicht und das Recht auf Freiheit müssen sorgsam individuell  abgewogen werden.  Das Ziel ist Fixierungen zu minimieren, im besten Fall zu vermeiden und das "Lebensrisiko" (Sturzrisiko) gemeinsam zu tragen. Es gibt Fälle, da ist die Fixierung alternativlos. Sich jedoch von vornherein für die Fixierung auszusprechen, halte er für grundsätzlich falsch. Marczik: "Es gibt heute gute und bewährte Alternativen zur Fixierung, zum Beispiel Niederflurbetten. Diese lassen sich bis auf den Boden absenken. Sie minimieren das Verletzungsrisiko. Oder Sensormatten, die beim Berühren ein Signal geben."

"Ein großes Ziel ist es, das starre Sicherheitsdenken in der Pflege aufzubrechen", so Marczik. Er weiß aus eigenen Erfahrungen: "Oft werden Pflegekräfte im Entscheidungsprozess, ob eine Fixierung beim Amtsgericht beantragt werden soll, alleine gelassen. Der Druck der Angehörigen, dass dem Bewohner nichts passieren darf, der Druck der Medien, Angst vor Haftung und nicht zuletzt der Krankenkassen, die zum Beispiel nach einem Sturzereignis Regressansprüche stellen, lassen wenig Spielraum für Alternativen." Dies soll sich in Zukunft ändern. Marczik plädiert für eine neue Pflegekultur, ein Umdenken der Krankenkassen und große Unterstützung seitens der Behörden.

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